Nachdem ich dem Ben in leicht benebeltem Zustand einen Bericht über obiges Ereignis
versprochen hatte, ließ der natürlich nicht mehr locker und so sitze ich nun hier und sauge
mir was aus den Fingern, um meine angehende Journalistenkarriere nicht leichtfertig aufs
Spiel zu setzen. Lutz von Soundflat hat zwar im Emorock-Curriculum "OX" bereits eine
Abhandlung darüber geschrieben, aber was soll's - das kleingedruckte Zeugs liest ja eh keiner
Als Cave 4-Surfmaster Öli im April '99 seinen mächtigen Labelbossen von Swindlebra Records
über den bevorstehenden Megaevent berichtete, war Uwe und mir sofort klar: wir sind dabei'.
Im Handumdrehen waren 4 Mitreisende gefunden, die Tickets via Internet geordert, ein günstiger
Flug gebucht und erstaunlich preiswerte Zimmer reserviert, so daß es am 28.10. endlich losgehen
konnte.
Das Rübermachen wurde durch zollfreien Wodka und Bordbier erheblich aufgelockert, so daß
Surfmaster Öli gegen ca. 20 Uhr Ortszeit eine recht aufgeräumte Reisegesellschaft in seinen
Mietwagen packen und zum Hotel Orleans fahren durfte, das die Ehre hatte uns die kommenden 7
Tage zu beherbergen.
Der Ankunftstag diente der Akklimatisierung unter besonderer Berücksichtigung der alkoholischen
Ortsverhältnisse, wobei sich Heineken-Bier und Tequila-Sunrise als klare Favoriten
herauskristallisierten. Bereits am 2.Tag hatten wir uns an den ganzen Casinowahnsinn mit seiner 24-
Stunden-Geräuschkulisse gewöhnt, so daß nach Erledigen der Grind-Eincheckformalitäten einer
fröhlichen 3-Tage-Orgie nichts mehr im Wege stand.
Den ersten Kick bekam man dann gleich beim Betreten des mondänen Veranstaltungssaals im Gold Coast Hotel: eine
künstlerisch ebenso wertvolle wie einfallsreiche Dekoration zwischen Trash, Voodoo und Halloween stach uns ins Auge,
die rund um den Bühnenbereich mit Podesten für die stets aufreizend zuckenden GoGo-Girls garniert war. Diverse gut
bestückte Ausschankstellen (die bei Hochbetrieb von mobilen Einsatzkräften verstärkt wurden) und eine ellenlange
Tonträgerverkaufsfront, bei der auch ich allnächtlich mein Unterlegtes Tütchen abholte, rundeten den positiven
Gesamteindruck ab. Und welcher deutsche Veranstalter würde es wagen ein 3-Tages-Spektakel mit 1500-2000 Irren aus aller
Welt auf einem Teppichboden auszutragen ? Jaja, das Land der unbegrenzten Möglichkeiten.
Unter den Zuschauern befand sich die erwartet hohe Anzahl deutscher Rock'n'Roll-Enthusiasten und das Who's who der
globalen Szeneprominenz, deren Aufzählung hier den Rahmen sprengen würde. Nett war in diesen Tagen auch der Kontrast zu
den ebenfalls zahlreich erschienenen Cowboy-Redneck-Teilnehmern des gleichzeitig stattfindenden "Professional
Bullriding Contest" anzusehen, was andernorts vermutlich zu tumultartigen Gewaltszenen geführt hätte, aber trotz
der bisweilen surreal anmutenden Besucherzusammensetzung, die Las Vegas so zu bieten hat, liegt doch eine erfreulich
friedliche Stimmung über dem ganzen Szenario, da letztlich alle dasselbe Ziel verfolgen:
Amüsement bis zum Abwinken !
Und dann ging's auch endlich los, wobei vorweg lobend erwähnt werden muß, daß der
Programmplan ziemlich penibel eingehalten wurde, was bei der Vielzahl der Bands die Orientierung
doch erheblich erleichterte.
Den Grind-Opener machten die Mädels von den Dirty Burds, die neben gefälligem Fuzztone-Garagepunk auch was fürs Auge
boten, was schon zu Beginn für gute Stimmung sorgte, die bei den darauffolgenden, äußerst korrekt gekleideten Neatbeats
aus Japan noch stieg, die mit ungeheurer Souveränität das Publikum zu ersten Begeisterungsstürmen hinrissen. Da ich
mich als Traditions-Punkrocker nun nicht als hochkompetenter 60's/Garage-Experte gerieren möchte, muß ich zugeben, daß
ich meine Probleme mit der nuancierten Beschreibung der jeweils dargebotenen Musikstile habe. Das Programm schreibt bei
den Neatbeats was von "pure Merseyside Beat", ich würde das Ganze als cool rübergebrachten, Old-School-Rockabilly
angehauchten Sound bezeichnen (auf die Gefahr hin gesteinigt zu werden). Sei's drum - klasse war's auf jeden Fall. Die
Dukes of Hamburg fand ich danach ein wenig eintönig und nur weil die wegen eines Ex-Mummies-Members reichlich gehypt
werden, spritz' ich da noch lange nicht ab. Weitaus besser kamen bei mir da schon die Wildebeests an, deren Beat
einfach über eine trashige Punkrockkante verfügte, die bei mir natürlich auf fruchtbaren Boden fällt. Anschließend
gab's erstmal (wie in den Folgetagen auch) eine Pause, um das bisher Dargebotene zu verdauen und die weitere
Aufnahmefähigkeit wieder herzustellen. In diesen Pausen und ebenso nach Ende der Liveshows konnte man bei heißen
Rhythmen vom Plattenteller, der von illustren DJs bedient wurde, weiterhin kräftigst mit dem Arsch wackeln. Zu
empfehlen war allerdings auch ein Abstecher in die hoteleigene Karaoke-Bar, wo stets absurde Unterhaltung garantiert
war. Beim Anblick ausflippender Japanerinnen, die ebenso enthusiastisch wie talentfrei ihrem Nationalsport frönten über
Country-Schwergewichte, die glaubten Elvis intonieren zu müssen bis hin zu Bandmitgliedern, die bisweilen grandiose
Fetzer aufs Parkett legten, verging die Zeit wie im Fluge. Das Karaoke-Happening blieb so auch nicht lange ein
Geheimtip unter Trashfreunden.
Nach der Pause dann der unbestrittene Höhepunkt des ersten Abends: von der Girl-Performance-Group "Devil-Ettes" aus San
Francisco auf einem Gladiatorenwagen hereingezogen und ihrem Namen entsprechend in antik-römische Togas gewandet,
räumten Thee Mighty Ceasars mit auf den Punkt gebrachten rauhen Smashern gnadenlos ab und brachten damit den Saalboden
gefährlich zum Schwingen. Klar besser als Childish's Geschrammel mit den Headcoats. Danach gespanntes Warten auf die
legendären Wailers und zunächst dachte ich, man hätte die Rentnerband vom Erdgeschoß, die dem gesetzteren Publikum
gemächliche Evergreens servierte, als Ersatz auf die Bühne gebeten, aber von wegen: es handelte sich tatsächlich um die
lebende (?) Legende, die dann ein nettes Seniorenschwofprogramm in die Menge eierte. Boah - war das Scheiße ! Nur Jenz
Bumper fühlte sich an "damals" erinnert - wie alt ist der eigentlich ? Nach dieser Enttäuschung war die Luft ziemlich
raus und viele verließen bereits den Ort des Geschehens, was mir für die Breadmakers leid tat, die noch zu später
Stunde sehr ordentlich abrockten. Ganz stand ich deren Auftritt allerdings auch nicht durch, da ich mich noch um den
Mitreisenden Dieter kümmern mußte, da das Weiche! auf einem Hocker vor einer Slot-Machine eingepennt war.
Den zweiten Abend läuteten die Diaboliks mit ihrem 60's-Beat-Punk sehr solide ein, wurden aber im
Anschluß gleich durch eine hervorragende Surf-Rock'n'Roll-Darbietung der Arousers in die
Schranken verwiesen. Ein furioser Start in die Nacht !
Und dann - Bühne frei für die zu diesem Anlaß einmalig reformierten Untamed Youth !!!!!
Da hatten wohl die Meisten drauf gewartet und ich bin sicher nicht der Einzige, der die 4 Spaßvögel
zum Highlight des kompletten Grinds erhoben hat. "Purveying their fun, party, surfand hotrod
stompers to screaming fans everywhere !" - der Programmankündigung ist nix hinzuzufügen. The
Untamed Youth verwandelten den Saal in ein Tollhaus, die Stimmung schäumte über und der
Schwingboden geriet derart ins Wackeln, daß ein Durchbruch ins untere Geschoß ernsthaft
befürchtet werden mußte, was gewiß ein grandioses Bild abgegeben hätte: der tobende Grindmob
erschlägt das Bürgertum in Las Vegas - wow! (Eine Vision, die außer mir und dem Lutz - siehe Ox -
noch etliche Anwesende belustigte) Genial auch Deke Dickersons Pabst-Blue-Ribbon-Bierföntänen-, einlage, eine Biersorte
über deren Qualität innerhalb der Band offensichtlich erhebliche Meinungsun-terschiede bestehen. Jedenfalls schafft's
der Wahnsinnige eine Dose dieses Gebräus in vollem Umfang in seinen Schlund zu schieben, anzusetzen und dabei noch
soviel Platz zu lassen, um eine imposante Fontäne in die Menge zu spritzen. Respekt! Die Gewinner des Grinds ! Von den
darauffolgenden Sidekicks blieb bei mir nichts besonderes hängen, war ich wohl vom furiosen Auftritt der ungezähmten
"Jugend" noch zu sehr überwältigt. 1 a war dann wieder der klassische Surfsound der Phantom Surfers, der
leider nach einer halben Stunde durch Hinzunahme von Davie Allen, einer weiteren halbtoten Semilegende, völlig
verhunzt wurde.
Nachdem die Phantom Surfers verständlicherweise das Weite gesucht hatten, schrammelte besagter Herr Allen mit seinen
Arrows weiter, was mir Gelegenheit zum Frischlufttanken gab, sollten doch im Anschluß die Trashmen die Bühne erklimmen,
wobei einem trotz aller Erwartungen angesichts bisher gezeigter Leistungen einiger Veteranen doch etwas mulmig war. Das
Fiasko blieb zum Glück aus, klang doch erstaunlich frisch und vital, was die Herren da boten. Kein Hit wurde
ausgelassen und bei "Surfin' Bird", das gleich zweimal gebracht wurde, glich die Tanzfläche einmal mehr einem
Trampolin, Eine würdige Altersleistung ! The Saturn V featuring Orbit standen als Abschlußband nach dem bis dahin
Erlebten auf reichlich verlorenem Posten.
Beim Warten auf den Shuttle-Bus zum Hotel Orleans lernten wir dann noch Brian und seine Freundin aus New York kennen,
was in einem bis halb acht Uhr morgens dauernden Absturz im Hotelzimmer endete, weswegen ich den dritten Tag des Grinds
auch auf etwas wackligen Beinen erlebte.
Heute war Halloween und in den Staaten ist das doch ein richtig großes Ding und so erschien ein Großteil des Publikums
in aberwitzigen Kostümierungen. Neben allerlei Monstren und Mutationen gefiel vor allem ein perfekt gestylter Che
Guevara in Military-Outfit mit fetter Zigarre im Mund - für die Amis wohl das Böse schlechthin! Lutz Soundflat erschien
mit der Erklärung "den Amerikanern mal etwas deutsche Kultur näherzubringen" im Schützenvereinsanzug seines
Vaters inclusive Hut und schoß damit den Vogel ab. Gibt's da Fotos ?
So konnte auch an diesem Abend nichts mehr schiefgehen. The Embrooks und Jack & the Rippers liefen als "ganz nett" mehr
oder weniger an mir vorbei, was bei den prima aufgemotzten Neanderdolls definitiv nicht der Fall war. Ein optischer und
musikalischer Leckerbissen und die etwas korpulente Tina Trashwoman an den Drums kann als durchaus imposante
Erscheinung bezeichnet werden und konnte mich kurz nach ihrem Auftritt auch durch ihren gesegneten Appetit an der
Burgertheke beeindrucken.
Die Namensverwandten Neanderthals konnten im Anschluß nicht ganz dagegen anstinken, auch wenn ihr Auftritt gewiß nicht
von Pappe war, aber irgendwie schaut dieses Urmenschenoutfit bei Mädels besser aus, ist aber wahrscheinlich nur eine
Frage der geschlechtsspezifischen Sichtweise. Shutdown 66 waren dann kreuzfad und ich war heilfroh, als endlich Andre
Williams & the Countdowns die Bühne enterten. Bei ihrer Deutschlandtour fand ich die Kombination aus dem Blues-Trash
der Countdowns und dem großartigen Rhythm'n'Blues-Organ von Andre Williams absolut großartig, zu meinem Entsetzen war
diesmal jedoch noch eine Bläsersektion am Start, die da einfach nicht dazupasste. Das klang irgendwie alles zu clean
und auch die Countdowns wirkten bei weitem nicht mehr so rauh, wie ich es in Erinnerung hatte und machten obendrein
einen arroganten und unsympathischen Eindruck. Geht kacken.
Den Abschluß eines unvergessenen Festivals bildeten die Los Straitjackets, deren Instrumental-Surf-Rock'n'Roll gut ins
Ohr ging. Nichtsdestotrotz sah ich mich gezwungen nach einer knappen halben Stunde die Segel zu streichen, da mir
aufgrund mehrtägigen Alkoholmißbrauchs der Kollaps drohte. Fazit: COOLE SCHEISSE !!!
Unser einwöchiger Aufenthalt bestand natürlich nicht nur aus Grind: wir ergaben uns selbstredend
widerstandslos dem ultimativen Entertainment-Overkill Las-Vegas-Style, soffen, spielten, shoppten,
besichtigten merkwürdige Hotels in der Größenordnung einer deutschen Kleinstadt und nutzten auch
so manches einzigartige Angebot.
Hervorheben möchte ich hierbei die perfekte SD-Simulation "Race for Atlantis" im Ceasar's Palace
(eine Anforderung schon für den intakten Magen!) und die jeder deutschen TÜV-Auflage
widerstrebende rasante Achterbahnfahrt in und ums Hotel NewYorkNewYork. Ich brachte l Stunde
kein Bier mehr runter, Insider wissen was das heißt.
Einen kompletten Tag widmeten wir dann noch einem 18-stündigen Ausflug via Hoover-Damm an
den ca. 5-6 Fahrstunden entfernt liegenden Grand Canyon, den wir nicht nur ausgiebig von diversen
Aussichtspunkten aus begutachteten, sondern dessen Imposanz wir uns als Edeltouristen auch noch
per Helicopterflug näherbringen ließen. Nicht ganz billig, aber ein einmaliges Erlebnis!
Ein 7-tägiger Intensivurlaub, der jede müde Mark wert war!
Der 2. Las Vegas Grind findet heuer bereits vom 30.6, bis 2.7. an gleicher Stelle statt, da
im November die europäische Schwesterveranstaltung Wild Weekend in London abhebt. Bei
Letzterer werde ich vermutlich wieder vor Ort sein, zumal voraussichtlich sowohl unsere
Label-Zugpferde Cave 4 als auch die
unglaublichen Boonaraaas auftreten werden, deren Split-EP mit der Subsonic-Speed-Hausband
Reekys bereits auf Swindlebra Records draußen sein müßte, wenn ihr diese Zeilen lest. HAUT
REIN!!!
Cheesy Swindlebra